Seit November 2021 arbeite ich in einem 50%-Pensum für die Online-Zeitung Infosperber. Dies waren meine aufwändigsten Recherchen des ersten Jahres.
- Interview mit der US-Aktivistin Nandini Jammi, welche Google für die Intransparenz seiner dominanten Online-Werbeinfrastruktur harsch kritisiert: «Google müsste die Informationen zu den Verkäufer-Accounts offenlegen. Wir schätzen, dass etwa 90 Prozent von ihnen versteckt sind. Dann könnten die Werbetreibenden sehen, bei welchem Unternehmen sie Werbung schalten. Und nicht bloss auf welcher Website.»
- Recherche über ungenügende Arbeitszeiterfassung bei der NZZ: In einem Erfassungsprogramm wurde einfach standardmässig pauschal das Tages-Soll eingetragen. Ein- oder auszustempeln brauchte niemand. Einzig zur Verbuchung von Ferientagen mussten die Einträge angepasst werden. Dies verbunden mit der unausgesprochenen Erwartung, dass Überstunden nicht systematisch erfasst, geschweige denn vollumfänglich kompensiert werden. So hätten unter vielen Redaktionsmitgliedern in den letzten Jahren die nicht kompensierten Überstunden tendenziell zugenommen.
- Kommentar zur weiterhin einäugigen Relotius-Debatte in der Schweiz nach meinem Besuch des Journalismustags 2022: «Vom Geld war bisher in der Relotius-Debatte und auch am Journalismustag kaum die Rede. Das ist keine Überraschung. Viele JournalistInnen, die ihre Stimme für Selbstkritik nutzen könnten, kennen diese Gefahren des industrialisierten Hintergrundjournalismus kaum, verdrängen oder normalisieren sie.»
- Eine Recherche zum Lehrpersonenmangel mit Ansage im Kanton Zürich im Medienarchiv und darüber hinaus: Der Kanton Zürich verschleppte das Problem bis zur Krise. So wird der Personalmangel vor den Regierungswahlen zum Wahlkampfthema. «Mitte-Politikerin Silvia Steiner ist zwar nicht alleine schuld daran. Aber klar ist: Der Regierungs- wie auch der Kantonsrat nahmen eine Verschärfung des Personalmangels – und damit eine Schwächung der Volksschule – bewusst in Kauf.»
- Meinungsumfragen werden in Medienberichten meist überbewertet. Anlässlich der US-Midterms versuchte ich aufzuzeigen, weshalb sie eigentlich nicht viel taugen.
- Die Schweizer ParlamentarierInnen müssten Gäste, Mitarbeitende und deren Interessenbindungen registrieren. Doch meine stichprobenartige Untersuchung zeigte: Die Transparenz-Register des Parlaments sind voller Fehler. Und die Parlamentsdienste kümmert das nicht. Denn verantwortlich für die Richtigkeit der Angaben sind einzig die ParlamentarierInnen selbst.
- Eine Recherche über eine versteckte Lehrpersonen-Statistik, die zeigt: Obschon viele von ihnen das Gegenteil behaupten, wissen die Kantone genau genug, wie viele ihrer Lehrpersonen nicht voll ausgebildet sind. Die Bildungsdirektionen der Kantone sollten das Problem deshalb schon lange kennen. Besonders dort wo es heute am grössten ist – etwa in Kantonen wie Bern, Aargau oder Zürich war schon vor Jahren bekannt, dass viele Lehrpersonen ungenügend ausgebildet sind. Und bei aller Zurückhaltung gegenüber interkantonalen Vergleichen: Es gibt erhebliche kantonale Unterschiede. Einige Kantone konnten das Problem eindämmen. In anderen wiederum hat es sich verschärft.
- Recherche zum «versteckten» Lehrpersonenmangel: Viele Schweizer Schulen sind am Anschlag. Die Arbeitsbedingungen drohen nun die Personalkrise noch weiter zu verstärken. Ein Beispiel: Die Schule Rüderswil im Emmental. Weil keine Klassenlehrperson gefunden werden konnte, deckt dort eine Gruppe aus acht verschiedenen Personen die Lektionen einer Klasse ab – Deutsch unterrichten gar drei unterschiedliche Lehrkräfte. Und nicht alle von ihnen sind entsprechend ausgebildet.
- Um ein grösseres Publikum zu erreichen, muss sich SRF an der fragmentierten, nicht-linearen Mediennutzung des Publikums orientieren. Gleichzeitig wird ein rein technologiegetriebener Wandel alleine nicht reichen. Ich wollte wissen: Wie können sich Inhalte verändern, wenn sich SRF sich an YouTube orientiert? Dafür habe ich mir das Sendungsformat «SRF rec.» genauer angeschaut.
- Artikel über den Lehrpersonenmangel in der Schweiz: Drei Thesen zum immensen Missstand: 1. Es mangelt nicht an Lehrpersonen, sondern an bezahlter Arbeit. 2. Lehrpersonen reduzieren zur Vermeidung einer zeitlichen Überlastung eher ihr Arbeitspensum, als dass sie den Beruf verlassen. 3. Die Dimensionen des Missstands sind schwer zu erfassen. «Die Frage darf nicht lauten: Wie können die offenen Stellen besetzt werden? Sie muss lauten: Wie bringen wir möglichst viele ausgebildete und geeignete Lehrpersonen dazu, möglichst viel zu arbeiten?»
- Greenpeace fordert auch mit einer in der SRF Arena diskutierten Studie ein Verbot von Werbung für Tierprodukte. Werbung, heisst es in der Studie, sei dann manipulativ, wenn die Werbetreibenden ihre Absicht nicht offenlegen, sondern eine Absicht vorspiegeln, die dem Publikum als vorteilhaft dargestellt wird. Insbesondere mittels Strategien wie Weglassen, Ablenken oder Vermischen der Identitäten von Mensch und Tier agierten die Hersteller und Verkäufer von Tierprodukten täuschend. Die Werbeauftraggebenden berufen sich dagegen auf ihre Wirtschaftsfreiheit.
- Überwachungskapitalisums vor der Haustür: Meine zweite grosse Datenschutzrecherche über personalisierte Werbung in News-Apps zeigt, wie Schweizer Medienkonzerne ihre Kundschaft dank ungenügender Consent-Abfrage tracken und deren persönliche Daten mit eingekauften Daten kombinieren. Der Konsumentenschutz meinte dazu deutlich: «Die Apps verstossen gegen die Grundsätze der transparenten und zweckgebundenen Datenbearbeitung.»
- Meine erste grosse Datenschutzrecherche über Gesichterkennung im Detailhandel zeigt, wie Schweizer Detailhändler ihre KundInnen für personalisierte Werbung überwachen und dabei das Datenschutzgesetz umgehen.
- «Lauterkeitskommission akzeptiert Schönfärberei»: Das Selbstregulierungsgremium der Schweizer Werbebranche weist Beschwerden mit Verweis auf hellsichtige «Durchschnittsadressaten» ab, indem sie Tatsachenbehauptungen nicht als solche taxiert. Drei NGOs haben kein Verständnis.
- Werbescreens erobern die Schweiz aus Hinterzimmern: Die Digitalisierung des öffentlichen Raums schreitet voran. Mit der Aussenwerbung wird auch öffentlicher Raum digitalisiert. Doch der lukrative Umbau verläuft wenig transparent.
- Heftige Kritik an beliebter Werbekampagne: Die Mutter der Babys aus dem populären Denner-Spot wollte die Verbreitung der Bilder stoppen. «Ich bin gar nicht stolz auf den Film und möchte, dass er nicht mehr gezeigt wird.» Beim Dreh sei die gesetzlich vorgeschriebene Höchstarbeitszeit deutlich überschritten worden.
- Vor dem Hintergrund der Abstimmung übers Mediengesetz vom 13. Februar 2022 diskutierte die Schweiz intensiv Rolle und Wert des Journalismus. Die beiden Artikel setzten sich ergänzend mit der selten diskutierten Identität des Journalismus auseinander. Was muss Journalismus sein? Und wer bestimmt in der Schweiz darüber? Im ersten Teil: In der Schweiz läuft eine Auseinandersetzung über den Journalismus. Das Problem: Die Leserschaft hat die Macht übernommen. Im zweiten Teil: Dem Schweizer Journalismus drohen staatliche Eingriffe und politisierter Nihilismus. Freiwillige Selbstkontrolle könnte helfen.
- Eine Werbekampagne von Mastercard sorgte im November 2021 für Kritik von Glaziologen, weil sie vorgab, das Gletschersterben mittels Konsum stoppen zu können. «Die Verknüpfung von Transaktionen und abgedeckter Gletscherfläche dürfte keinen Einfluss auf die abgedeckte Gletscherfläche haben, da die Obergrenze mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit ohnehin erreicht wird. Sie dient somit in erster Linie als Kundenanreiz, um Transaktionen zu tätigen. Und an diesen verdient nur Mastercard.»
- Eine Analyse dreier Arte-Dokus über Massenkommunikation als Machtinstrument im November 2021. Keiner der Filme kann aufdecken, wie und wann die kommunikative Manipulation bestimmter Menschengruppen genau funktioniert. Aber zusammen zeigen sie, welche beiden Bedingungen es braucht, damit Konzerne oder Regierungen ihre Macht kommunikativ ausspielen und erweitern können: Sie wissen so viel wie möglich über ihre Zielgruppen. Insbesondere wie, wann, wo und warum diese empfänglich sind für ihre Botschaften. Gleichzeitig können die Konzerne und Regierungen ihre eigenen Methoden und Absichten verschleiern.
Meine einzige freie Arbeit im Jahr 2021 erschien in der Republik: Schweizer Unternehmen und Organisationen finanzieren mit ihren Online-Inseraten Desinformationsportale. Jährlich fliessen Millionen – meist unwissentlich – an Seiten wie «Breitbart». Der Werbeberater Michael Maurantonio will das stoppen. Doch die Branche scheut Transparenz.