Für Infosperber, 5. Januar 2024
Auch die Schweiz will Desinformation bekämpfen. Dabei ist unsicher, ob es überhaupt ein Problem gibt. Fünf Fragen und Antworten.
Desinformation zu bekämpfen ist einfach so spannend!
Immerhin darin waren sich alle einig auf dem Männerpanel im wohlig-warmen Saal an einem verregneten Winterabend an der Uni Zürich: Ein Mann, der PR für Google macht, sein Kollege, der PR für Meta macht, der Geschäftsführer des Verbands Schweizer Medien (VSM), der PR für die grossen Verlage macht, und ein Vertreter des Bundesamts für Kommunikation (Bakom), der Gesetze vorbereitet.
Die vier Herren diskutierten mit Florent Thouvenin, Professor für Informations- und Kommunikationsrecht an der Uni Zürich. Dieser hatte einen Bericht vorgestellt, den ein Forschungsteam am Center for Information Technology, Society, and Law (ITSL) im Auftrag des Bakom durchgeführt hatte. Das ITSL vereint Forschende verschiedener Disziplinen. Am Bericht wirkten auch Medienforschende der Uni Zürich mit.
Damit ist die Debatte lanciert. Das Bakom bereitet nämlich eine Vernehmlassungsvorlage zur Bekämpfung von absichtlich verbreiteter Fehlinformation für Anfang 2024 vor. Dies ist wichtig, weil es dabei um die Meinungsäusserungsfreiheit geht – jeder staatliche Eingriff müsste gut begründet sein. Darauf weist der Bericht hin. Und er stellt konkrete Massnahmen zur Diskussion.
Die wichtigsten Fragen und Antworten:
- Gibt es überhaupt ein Problem?
Ausgerechnet die wichtigste Frage ist fast nicht zu beantworten. Im ITSL-Bericht steht wörtlich: «Es fehlen gesicherte empirische Erkenntnisse zur Wirkung von Desinformation. Dies ist aus Governance-Perspektive ein besonders gravierendes Problem. Denn Massnahmen lassen sich nur rechtfertigen und machen aus einer Kosten-Nutzen-Perspektive nur Sinn, wenn tatsächlich ein relevantes Problem besteht.» Die Wissenschaft hat nämlich kaum Zugang zu den Daten der wichtigen Plattformen und Kanäle. Sie weiss deshalb auch nicht, wie verbreitet das Problem in der Schweiz überhaupt ist. Deswegen arbeitet sie mit Hochrechnungen, Modellierungen oder Befragungen. Deren Aussagekraft ist beschränkt.
Wichtig ist zudem: Die Schweizer Bevölkerung wird von der Forschung als vergleichsweise widerstandsfähig gegen Desinformation eingeschätzt. Als Gründe werden die schwache Polarisierung und ein starker Service Public vermutet; aber auch die vergleichsweise kleine Zahl wirtschaftlich an den Rand Gedrängter, der kleine Werbemarkt und die geopolitische Rolle der Schweiz. Sie ist für die Grossmächte schlicht uninteressant.
- Kümmert sich nicht bereits die EU um Desinformation?
Sie versucht es, bemüht sich dabei aber vor allem um Transparenz: Einerseits existiert ein sogenannter Code of Practice, der die grossen Plattformen dazu verpflichtet, transparent über die eigenen Massnahmen gegen Desinformation zu informieren. Doch die ersten Berichte sind gemäss Forschenden unbefriedigend.
Andererseits verabschiedete die EU unlängst auch den sogenannten Digital Services Act (DSA). Dieses Gesetz soll die Plattformen unter anderem dazu verpflichten, Forschenden Zugang zu Plattformdaten zu geben und transparenter über Werbeanzeigen zu informieren. Was ist bezahlte Werbung? Wer steht dahinter? Das Gesetz wird derzeit implementiert. Doch eine erste Bilanz in Deutschland ist auch hier ernüchternd: Die Plattformen ignorieren das Gesetz oder setzen es nur halbherzig um.
Diese Massnahmen sind ohnehin auf die EU-Länder beschränkt. Will die Schweiz etwas unternehmen, braucht sie ein eigenes Gesetz. Dass man sich dabei am DSA orientieren wird, ist ein offenes Geheimnis. Doch Details können entscheidend sein. Und die Schweiz könnte aus Versäumnissen der EU lernen. Kein Wunder, äusserte Google-Lobbyist Anton Aschwanden auf dem Podium die Hoffnung, dass es keinen DSA mit «Swiss Finish» geben werde. Bakom-Direktor Bernhard Maissen sagte jüngst an einer öffentlichen Podiumsdiskussion an der Uni St. Gallen zum Thema, er wünsche sich «einfach absolute Transparenz» von den Plattformen.
- Worüber wird bisher nur am Rand diskutiert?
Über Desinformation als Business einzelner Akteure. Wirtschaftliche Aspekte erwähnt der Bericht der Zürcher Forschenden nur marginal. Die Verbreitung von Desinformation wird nicht selten über die Marktplätze mit Online-Werbung finanziert. Doch auch in diesem komplexen Geschäft fehlt die Transparenz. Politisch und wirtschaftlich motivierte Desinformation lassen sich da nicht trennen. Dies hat die Wissenschaft bisher kaum thematisiert. Die ITSL-Autoren erwähnen zwar ein mögliches Werbeverbot im Kontext desinformativer Inhalte, sind aber der Ansicht, dass die Selbstregulierung der Branche hier funktioniert. Aktivisten sehen das anders. Die Branche wolle das Problem aus Angst vor Reputationsschäden vielmehr unter den Teppich kehren.
Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die Sammlung persönlicher Userdaten zu Werbezwecken. Sie dient vorgeblich der zielgenauen Ausspielung von Werbeanzeigen – sogenanntem Targeting. Doch die Daten können auch zur Manipulation benutzt werden. Denn sie können helfen, die Empfänglichkeit bestimmter User für bestimmte Botschaften zu eruieren.
Will die Schweiz Desinformation wirklich bekämpfen, müsste sie auch bei diesen Geschäften ansetzen. Die EU hat hier ebenfalls bereits vorgespurt. Die Schweiz könnte dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten mehr Kompetenzen und Ressourcen geben für das Aussprechen von Bussen und das Einfordern von Transparenz. Doch damit würde nicht nur das Werbegeschäft von Google, Meta und Co. beschnitten, sondern möglicherweise auch dasjenige der grossen Schweizer Medienverlage, welche ähnliche Geschäfte verfolgen.
- Es geht also auch wieder um Geschäftsmodelle?
Ja, denn darum kreist die Debatte in der Medienförderung. Starker Journalismus ist das vielleicht wirksamste Mittel gegen Desinformation. So schlagen die Zürcher Forscher mehrere Massnahmen vor, um ihn und seine Verbreitung zu stärken. Darunter: die Idee einer (kostenlosen) zentralen Journalismusplattform. Da würden die Beiträge unterschiedlicher journalistischer Medien gebündelt kuratiert und publiziert. Ähnliche Funktionen übernehmen heute vielfach Social-Media-Plattformen.
Die Idee einer Journalismus-Plattform wird immer wieder genannt. Barnaby Skinner von der NZZ am Sonntag forderte auf dem St. Galler Podium ein Spotify-Modell für Medien. Ein entsprechendes Bezahl-Projekt auf privater Basis wurde letztes Jahr frühzeitig eingestellt. Der Initiant, welcher ein GA für News konzipieren wollte, stellte ernüchtert fest: «In Gesprächen mit Verlegerinnen und Verlegern hat sich gezeigt, dass diese aus ideologischen wie ökonomischen Gründen kein Interesse daran haben. Sie bevorzugen die Konkurrenz gegenüber der Kooperation.»
VSM-Geschäftsführer Stefan Wabel erteilte der Idee auf dem Podium denn auch gleich eine Absage. Würde er das auch noch tun, wenn substanzielle Medienförderung an die Bedingung eines barrierefreien Zugangs zu demokratierelevantem Journalismus geknüpft wäre?
- Welche weiteren Massnahmen schlägt die Wissenschaft vor?
Das Wichtigste: Den bestehenden Rechtsrahmen finden die Forschenden genügend. Allerdings sehen sie Schwächen bei der Einhaltung und Durchsetzung. Denkbar wäre für sie deshalb die Schaffung eines/r Desinformationsbeauftragten, welcher die Situation im Auge behält. Sie schreiben: «Diese Tätigkeit sollte nicht auf das Verfassen und Verbreiten von Desinformation durch Private beschränkt sein, sondern auch die Informationstätigkeit der öffentlichen Organe mit umfassen, um (ungewollte) Desinformation durch Behörden zu erkennen».
Zudem schlagen sie eine Kennzeichnungspflicht für Werbung, insbesondere politische Werbung, vor. Den Plattformen empfehlen sie einen Strauss von Massnahmen. Einige sind bereits bekannt oder umgesetzt (z. B. der Einsatz vertrauenswürdiger Meldepersonen, sog. Trusted Flaggers). Weiter wollen sie bestehende Medienkompetenz-Initiativen fördern und begrüssen ausdrücklich die Einführung des Fachs Medien und Informatik ab Stufe Kindergarten gemäss Lehrplan 21. Zudem fordern sie eine Stärkung des «Informationsjournalismus», insbesondere via Service Public und «mit Blick in die Zukunft auch online über Webseiten und Social- Media-Angebote».
Weiterführende Informationen
- «Informationskrise»: Unesco fordert griffige Plattformkontrolle, Infosperber, 8. Dezember 2023
- «Gegen Desinformation hilft nur Bewusstsein», Infosperber, 19. Dezember 2022
- Werbemillionen gegen die Demokratie, Republik, 8. August 2022
- «Lauterkeitskommission akzeptiert Schönfärberei», Infosperber, 23. März 2022
Hinterlasse einen Kommentar