Ehrlicher Klappentext: Ferymont

Für bref Magazin, 17. Mai 2024

In ihrem Debüt erzählt die Schweizer Autorin Lorena Simmel von einer Saison am Südfuss des Juragebirges. «Ferymont» wirft einen feinsinnigen Blick auf Menschen bei der Arbeit an der Grenze zur Ausbeutung.

Ferymont, das könnte ein Ort im sumpfigen Seenland irgendwo zwischen Biel und Yverdon sein. So heisst es im Debütroman der in Berlin lebenden Schweizer Autorin Lorena Simmel. Es ist ein erfundener Erlebnisbericht über eine verstörende Saison, die irgendwann im Frühling beginnt und irgendwann im Herbst endet.

Darin erzählt Simmel die Geschichte einer jungen Studentin. Die Frau kehrt für einige Monate aus Berlin ins Schweizer Dreiseenland zurück, um auf Landwirtschaftsbetrieben Geld zu verdienen. Sie ist in der Region aufgewachsen und kommt bei ihrer Tante in einem grossen Haus unter. Allmählich freundet sie sich mit der Moldawierin Daria an.

Mit Daria und weiteren Gastarbeiterinnen verrichtet sie die monotone, harte Arbeit: Säen, Setzen, Ernten, Aufbereiten. In stickig heissen Tunnels oder neben ohrenbetäubend dröhnenden Maschinen. Dabei gilt: Je härter die Bedingungen, desto karger der Austausch. «Morgens, wenn es kühler war, redeten die Frauen miteinander», erzählt die Studentin an einer Stelle, «aber schon um neun waren die Wärme und die Feuchtigkeit in den Tunnels unerträglich, die Sonne schien auf die Gewächshäuser herunter wie ein Feind, die Stunden zerschmolzen zu einer Unendlichkeit, die Frauen verstummten».

Doch die harte Arbeit schweisst auch zusammen. Und so ist der erste Teil der Geschichte auch die Geschichte weiblicher Solidarität. Ihn prägen starke Frauenfiguren, die sich zu helfen wissen, indem sie einander helfen. Allen voran Daria, zu Hause Gerichtsvollzieherin, die sich demonstrativ einer Kontrollmassnahme auf dem Hof verweigert, um schwächere, langsamer Arbeitende wie die Studentin zu schützen.

Dabei sind die Unterschiede zwischen den beiden beachtlich: Während die Saisonniers aus dem Osten an den Jurasüdfuss kommen, um Geld zu verdienen, hat die Studentin persönlichere Motive. Das Schweizer Geld hilft ihr in Berlin, und doch ist es, als wollte sie zuerst verstehen, woher sie kommt. Sie belebt die Beziehung zu ihrer Tante wieder, studiert in der nahen Stadt. Sie verkehrt in vergleichsweise begütertem Umfeld. Während die Gastarbeiterinnen ihr Brot selber backen, um Geld zu sparen, weil sie nur sonntags – wenn nur die teuren Tankstellenshops geöffnet sind – Zeit haben, um einzukaufen. Simmels Blick für diese materiellen Differenzen ist scharf.

Trotzdem verzichtet sie auf Moralismus. Der Erzählton bleibt auch nach einem tragischen Vorfall, der durchaus ausbeuterischen Arbeitsbedingungen angelastet werden könnte, distanziert. Die Möglichkeiten innigerer Freundschaften, stärkerer Parteinahme oder durchdringender Zusammengehörigkeit bleiben stets bloss angedeutet. Etwa in den Beziehungen zum Polen Konrad oder zu Tieren wie den Hühnern, welche die Studentin in einem Arbeitseinsatz fast mechanisch in Kisten verfrachtet, um sie schlachten zu lassen.

«Ferymont gibt es nicht, aber es ist trotzdem alles echt», sagte Simmel anlässlich der Premiere in Berlin über ihren Roman. Zwar kennt sie die Gegend, in der sie aufwuchs. Sie arbeitete auch selber in Betrieben und lernte dabei Menschen kennen. Aber sie wollte eben nicht, dass der Roman auf seine realen Bezüge reduziert würde, sagte sie.

Diese Gefahr besteht ohnehin nicht. Zu fein, zu nuanciert tritt die Distanziertheit der Erzählerin in der einzigen Stimme hervor. Nie ist sie so monoton wie die Arbeit. Je nach Szene oder Figur erscheint sie mal oberflächlich, kalt, aber auch mal einfühlsam oder warm. So schafft es Simmel, zu zeigen, was unausweichlich immer «echt» ist am menschlichen Erzählen: Indem wir eine bestimmte Geschichte auf eine bestimmte Weise erzählen, müssen wir notwendigerweise eine Wahl nach der anderen treffen. So gewähren wir Einblicke, blenden Unerwünschtes aus, verdrängen Unangenehmes und zelebrieren Schönes. Und sie zeigt auch, dass dies besonders zutrifft auf unsere Geschichten über unser kleines Land.

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